Der Prolog
Sherlock schloss die Augen. Er hörte das Geräusch des fallenden Regens tausendmal verstärkt in seinem wachen und überreizten Verstand. Er spürte auch die Kälte und Nässe wie spitze Nadeln in seine Haut stechen und das Grau der beginnenden Nacht zerrte am Rand seiner Sinne, zupfte an ihnen und irritierte ihn. Dann aber hob er die Lider, denn er wusste, dass wenn er nicht handeln würde, jemand vollkommen überflüssigerweise sterben würde. Er sah sich selbst in Zeitlupe die Hand ausstrecken und nach vorne schnellen. „Tun Sie es nicht!“ rief er gegen den peitschenden und brüllenden Sturm an. Tatsächlich wandte Samuel Durrant seinen Kopf und er konnte in das bleiche Gesicht eines Mannes sehen, der entschlossen war, bis zum Äußersten zu gehen. Sherlock konnte auf die Entfernung seine Augen nicht genau ausmachen, doch er wusste, dass sie blau waren und kalt wie Eis wirkten. Alles in diesem Gesicht schien nun wie gemeißelt. In dem dämmrigen Rest des Tageslichtes war es zuerst nur ein weißer, verwaschener Fleck gewesen, aber je länger Sherlock darauf starrte, desto deutlicher konnte er es ausmachen. Da war nichts mehr in den markanten Zügen. Nichts regte sich mehr, jegliche Emotion schien erloschen zu sein. Dieser Mann war ausgebrannt und an einem Punkt, an dem es eigentlich kein Zurück mehr gab. Aber er war dort unter der Annahme falscher Voraussetzungen und zumindest das wollte Sherlock nicht auf sich sitzen lassen.
„Hören Sie mir zu.“ Beschwor er den Mann, bevor er einen weiteren Schritt in dem entsetzlichen Wetter auf ihn zumachte. „Das, was Sie glauben gesehen zu haben, entspricht nicht der Wahrheit. Hören Sie mir zu. Ich weiß jetzt wie es sich ereignet hat!“ Sherlock wusste nicht, ob seine Worte den Mann irgendwie erreichten, aber er war nicht bereit locker zu lassen. Ein Blitz zerriss den zugezogenen Himmel und das kalte Licht ließ Durrant noch mehr wie einen Dämon oder eine Statue aus Eis wirken, als es ohnehin den Anschein hatte. Die Lippen waren blutleer und in Agonie oder Abscheu aufeinander gepresst. Der schwarze Mantel war längst durchnässt und lastete sicherlich schwer auf seinen Schultern. Der Detektiv wusste, dass nur eine hauchdünne Linie ihn vor einer ziemlich großen Dummheit bewahren würden und er allein die Macht besaß, diese Linie mit seinen Worten zu einer Mauer werden zu lassen. Seine ohnehin erweiterten Pupillen schienen noch einmal an Dunkelheit zuzunehmen, als er die Augen in Erinnerung an all das, was er erfahren hatte, ein wenig weiter öffnete. Bilder stürzten innerhalb von Sekunden auf ihn ein. Er sah Viktor Frankenstein, Samuel Durrant und dessen Frau Cassandra. Aber auch Mr. Todd und die blasse Mrs. Lovett sah er. Dann aber erschienen Gesichter vor ihm, denen er nur schwer Namen geben konnte, die entsetzlich entstellt waren und schließlich aus Augen und Mündern heraus zu brennen begannen. Von Grauen gepackt schüttelte er schnell den Kopf und sah erneut Samuel Durrant vor sich, der in diesem Moment das Interesse verloren zu haben schien und sich wieder abwandte.
„Rebecca ist tot!“ rief er gegen den Wind an. „Und ich weiß, wer sie ermordet hat!“ Das reichte, um den Mann erneut herumfahren zu lassen und bestätigte Sherlocks Vermutung. „Sie wissen gar nichts!“ rief der Mann ihm zu und in seiner Stimme klang purer Hass mit. Der Detektiv schüttelte innerlich den Kopf. „Um das zu beweisen, sollen Sie von dem Vorhaben absehen, das Sie geplant haben, Sir. Ansonsten... behalte ich Recht!“
Durrant starrte ihn nur an, ohne zu einer Erwiderung anzuheben. Sherlock machte einen weiteren Schritt auf ihn zu...